Seit 1. Januar 2022 sind das totalrevidierte Kernenergiehaftpflichtrecht und die beiden revidierten Kernenergiehaftpflichtabkommen von Paris und Brüssel in Kraft. Dadurch verbessert sich im Falle von schweren Nuklearunfällen der Opferschutz und Entschädigungsverfahren werden international harmonisiert und vereinfacht.
Haftung
Gemäss Kernenergiehaftpflichtgesetz (KHG) haftet der Betreiber unbegrenzt für Nuklearschäden, die durch den Betrieb seiner Anlage oder durch damit zusammenhängende Transporte von Kernmaterial entstehen. Für Schaden im Zusammenhang mit Kernmaterialien im Transit haftet der Inhaber der ausländischen Kernanlage.
- Gefährdungshaftung
Das KHG sieht eine strenge Gefährdungshaftung vor. Der haftpflichtige Betreiber haftet auch ohne Verschulden und selbst dann, wenn ein Nuklearschaden durch z.B. kriegerische Ereignisse oder terroristische Akte verursacht wird. - Kanalisierung der Haftung auf den Betreiber
Einzig der Betreiber der Kernanlage ist haftpflichtig. Dies erleichtert es den Opfern, ihre Schadenersatzansprüche durchzusetzen. - Deckungspflicht
Der Betreiber muss eine Versicherung in der Höhe von 1,2 Milliarden Euro zuzüglich 10% für Zinsen und gerichtlich zuerkannte Kosten (insgesamt 1,32 Mia. Euro) abschliessen. - Verjährungsfrist
Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre ab Kenntnisnahme (relative) bzw. 30 Jahre ab dem schädigenden Ereignis (absolute Verjährungsfrist). - Spätschaden
Schaden, von dem ein Opfer erst nach Ablauf von 30 Jahren Kenntnis hat, deckt der Bund aus dem Nuklearschadenfonds. - Zuständiges Gericht
Für Entschädigungsansprüche nach einem Unfall ist ein einziges Gericht zuständig, unabhängig von Wohnort oder Nationalität der Geschädigten.
Entschädigung
Ein Nuklearschaden ist bis zu 1,2 Mia. Euro durch Versicherungen gedeckt. Im Schadensfall kommt zu dieser Versicherungsdeckung zusätzlich ein Betrag von 300 Millionen Euro, der von den Vertragsstaaten des Brüsseler Zusatzübereinkommens aufgebracht wird. Insgesamt stehen so neu 1,5 Milliarden Euro (zuzüglich 120 Millionen Euro für Zinsen und gerichtlich zuerkannte Kosten) zur Deckung eines Nuklearschadens zur Verfügung. Für darüberhinausgehenden Schaden haftet der Betreiber einer Kernanlage unbeschränkt mit seinem ganzen Vermögen.
Anlagen zur Nuklearforschung und das Bundeszwischenlager sowie gewisse Transporte von Kernmaterial werden zu 70 bzw. 80 Millionen Euro (jeweils zuzüglich 10 % für Zinsen und gerichtlich zuerkannte Kosten) versichert.
Deckungsgeber
Die Deckung wird hauptsächlich durch private Versicherungen erbracht. Jene Risiken, welche private Versicherer nicht oder nicht vollumfänglich versichern können, werden vom Bund gedeckt. Hierfür bezahlen die Betreiber eine Prämie, die in den Nuklearschadenfonds fliesst.
Grossschaden
Reichen alle vorhandenen Mittel nicht zur Deckung der Schäden aus oder kann wegen der grossen Zahl von Geschädigten das ordentliche Verfahren nicht durchgeführt werden, so liegt ein sogenannter Grossschaden vor. In diesem Fall kann die Bundesversammlung zur gerechten Verteilung der vorhandenen Mittel eine Entschädigungsordnung aufstellen und gegebenenfalls vorsehen, dass der Bund zusätzliche Beträge an den nichtgedeckten Schaden sprechen kann.
International
Die Schweiz hat die beiden Kernenergiehaftpflichtabkommen von Paris und Brüssel (beide in der revidierten Fassung von 2004) ratifiziert. Anfang 2022 wird die Schweiz auch das Gemeinsame Protokoll ratifizieren. Dieses tritt drei Monate danach für die Schweiz in Kraft.
Mit Deutschland besteht ein bilaterales Abkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie aus dem Jahre 1986, mit welchem der Grundsatz der Gleichbehandlung der Angehörigen beider Staaten geregelt wird.
Dokumente
Neue Kernenergiehaftpflichtgesetzgebung
Medien
Recht
Exclusion of Certain Kinds of Nuclear Substances [NE/M(77)2]
Annex 3, Appendix to the Decision of the Steering Committee concerning the Decisions, Recommendations and Interpretations applicable to the Paris Convention as amended by the 2004 Protocol, item 4 (page 27)
Exclusion de certaines catégories de substances nucléaires [NE/M(77)2]
Annex 3, Appendice à la Décision du Comité de Direction concernant les Décisions, Recommandations et Interprétation applicables à la Convention de Paris telle que modifiée par le Protocole de 2004, chiffre 4 (page 28)
Letzte Änderung 19.05.2022