Ökologie und Ökonomie – in der Energiepolitik kein Widerspruch

Zürich, 03.03.2007 - Bundesrätin Doris Leuthard | Delegiertenversammlung der CVP | Zürich

Sehr geehrte Damen und Herren,

Der Bundesrat hat eine Neuausrichtung der Energiepolitik beschlossen. Dabei stützen wir uns auf vier Pfeiler ab: Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Grosskraftwerke und eine Energieaussenpolitik mit einer stärkeren internationalen Zusammenarbeit insbesondere mit der EU.

Dass wir handeln müssen, dafür gibt es genügend Fakten:

  • Die Schweiz importiert heute 80% ihrer Primärenergie. Um unsere eigene Versorgungssicherheit gewährleisten zu können, sind wir auf die Versorgungssicherheit der EU angewiesen. Unsere Abhängigkeit zu reduzieren ist somit ein prioritäres Ziel.
  • Gemäss Berechnungen der Internationalen Energieagentur (IEA) steigt die weltweite Energienachfrage zwischen 2004 und 2030 um 53%. Dabei bleiben die fossilen Brennstoffe die dominante Energiequelle, allen voran Kohle. Das hat zur Folge, dass bis 2030 die globalen CO2-Emissionen um 55% ansteigen dürften.
  • Spätestens ab 2030 wird das Auseinanderklaffen von Öl-Angebot und Nachfrage zu einem starken Preisanstieg führen. Erdgas reicht beim derzeitigen Verbrauch noch für rund 60 Jahre; auch dort werden die Preise also stark ansteigen.
  • Die EU wird bis 2030 einen Investitionsbedarf von 900 Mrd. EUR nur schon im Strombereich haben.

Und was machen wir? Wir reden von unserer Stromlücke und blenden aus, dass die Situation in anderen Industrienationen nicht besser ist. Wir diskutieren über Gas- oder Kernkraft und vergessen, dass der grösste Anteil unseres Verbrauchs aus fossilen Energieträgern stammt. Wir häufen Argumente gegen die eine oder andere Energieform und hoffen, dass kein neues Werk in unserem Garten gebaut werde. Kurz: Statt einer gesamtheitlichen Betrachtung diskutieren wir um Details und machen Symptomtherapie!

Dabei weist uns die Verfassung (Art. 89) den Weg. Wir müssen für eine „ausreichende, breit gefächerte, sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung sowie für einen sparsamen und rationellen Energieverbrauch" sorgen. Statt eine solche nachhaltige Energiepolitik umzusetzen, lebten wir bisher relativ sorglos. Wir müssen das Thema aber breiter angehen und dürfen nicht nur aus einer engen Perspektive heraus nur den Strom im Visier behalten.

Heute sind Lösungen im Sinne der Nachhaltigkeit, also unter Einbezug von Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft gefragt.

Ich will Ihnen aufzeigen, welche energiepolitischen Schritte nötig sind, damit auch unsere Nachkommen die Energie  sicher, sauber und effizient nutzen können und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft gesteigert werden kann.

Dabei geht es nicht um Ökonomie versus Ökologie. Es geht auch nicht darum, im Winter frieren zu müssen oder weniger Auto fahren zu dürfen. Ich will Lebensqualität und Wohlstand fördern - und das kann man auch mit weniger Energie.

Als Wirtschaftsministerin ist es mir ein Anliegen, dass mit energiepolitischen Rahmenbedingungen ein effizientes Angebot an Energie bereitgestellt wird, das den Wirtschaftsstandort Schweiz nicht benachteiligt. Rahmenbedingungen sind dabei so zu setzen, dass Energie sparsam eingesetzt wird und die inländische Produktion sowie der Import von Energie erleichtert werden.

Das erreichen wir, wenn wir vier Faktoren berücksichtigen:

  • Erstens, die Energieeffizienz.
  • Zweitens, die Versorgungssicherheit.
  • Drittens, die Umweltverträglichkeit.
  • Viertens, die Wettbewerbsfähigkeit.

Zum ersten Faktor, zur Energieeffizienz. Schon Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre konnte das EVD den Bundesrat und das Parlament von der Notwendigkeit einer effizienten Energienutzung überzeugen. Damals ging es um Gebäudesanierungen, um die Holzverwertung oder um die rationelle Verwendung von Elektrizität. Heute könnten gemäss BFE mit Energieeffizienzmassnahmen vor allem im Gebäude- und Verkehrsbereich rund 30% des Verbrauchs eingespart werden. Allein zwischen 1999 und 2000 ist der Anteil von renovierungsbedürftigen Wohnungen von einer Million auf 1,5 Millionen angestiegen. Dabei zeigt bereits der prognostizierte Anstieg des Energiepreises Wirkung. Die Wirtschaft produziert aufgrund des Konkurrenzdruckes in einigen Bereichen schon energieeffizient und hat intelligente Lösungen in Entwicklung. Beweis dafür sind neue Technologien; beispielsweise im Baubereich, wo man mit neuer Vakuumdämmung den Isolationseffekt um das Achtfache erhöhen könnte. Das UVEK hat den Auftrag, in Zusammenarbeit mit dem EVD bis Ende 2007 ein Aktionsprogramm vorzulegen. Ich bin überzeugt, dass ein mutiges Effizienzprogramm noch umfassender greifen und den Trend zu neuen Technologien beschleunigen kann. So könnten heute im Gesetz vorgesehene Möglichkeiten noch besser genutzt werden; etwa in der Landwirtschaft, wo Investitionskredite für Biomasse-Energieanlagen vorgesehen sind. Zu prüfen ist auch, ob die Anreize in kantonalen Baugesetzen nicht noch verbessert werden könnten. Ich plädiere dafür, dass die Schweiz Sparziele oder partielle Verbote für energiefressende Geräte und eine gute Konsumenteninformation prüft und wenn möglich im Gleichklang mit der EU einführt.

Mit mehr Effizienz unterstützen wir eine sichere Versorgung, reduzieren die Importe und tun der Umwelt etwas zuliebe. Die neuen Technologien könnten sich als wichtiger wirtschafts- und Umweltfaktor etablieren. So gewinnen letztlich alle.

Zum zweiten Faktor, zur Versorgungssicherheit. Diese in Krisenzeiten sicherzustellen, dafür ist mein Departement zuständig. Dabei sorgen wir in erster Linie für eine angemessene Vorratshaltung und für Kapazitäten, um bei Störungen reagieren zu können.

Wir importieren 80% unseres Energiebedarfs. Vor diesem Hintergrund eine Energieautarkie erreichen zu wollen ist illusorisch. Denn an einheimischer Energie bleibt uns einzig die Wasserkraft, die neben Wind, Sonne oder Biomasse wirklich ins Gewicht fällt. Für alle anderen Energieträger sind wir auf jene Staaten angewiesen, die Erdöl, Erdgas, Kohle oder Uran exportieren.

Beim Erdöl ist die Versorgungssicherheit international im Rahmen der IEA abgesichert. Seit Mitte der 70er Jahre hat uns dieses System durch alle Krisenlagen im Bereich Erdöl geholfen; während dem Golfkrieg (1992) und nach dem Hurrikan Katrina (2005).

Beim Strom und Gas soll vor allem die verstärkte internationale Zusammenarbeit mit Produzenten- und Transitländern zu mehr Versorgungssicherheit führen.

Fehlende Vorräte sowie sensible Transportstrukturen machen unsere Wirtschaft verletzlich.

  • Es kann uns nicht egal sein, wie sich das Angebot an Öl, Gas oder Elektrizität entwickelt.
  • Es betrifft uns schmerzlich, wenn irgendwo auf der Welt jemand am Ölhahn dreht oder die Gaspipeline blockiert, nur um den Preis in die Höhe zu treiben oder Machtpolitik auszuüben.

Mittels einer aussenwirtschaftspolitischen Energiestrategie müssen die Importe gezielt abgesichert werden. Dabei braucht es globale Verknüpfungen; sowohl für Strom-, Öl -, Gas- oder auch Ethanolimporte. Konkret müssen wir

  • die Verhandlungen mit der EU im Strombereich aufnehmen,
  • uns im internationalen Handel für die Liberalisierung mit Biotreibstoffen einsetzen oder
  • zwischenstaatliche Absicherungen zur Gasversorgung anstreben.

All dies erreichen wir mit der vom Bundesrat beschlossenen Energieaussenpolitik.

Zum dritten Faktor, der Umweltverträglichkeit. Eine nachhaltige Energieversorgung ist aus ökologischer und aus ökonomischer Sicht notwendig.

Denn wenn wir nicht frühzeitig auf die Umwelt Rücksicht nehmen, wird das wirtschaftliche Wachstum irgendwann gebremst. Was wir deshalb heute in eine nachhaltige Energiepolitik investieren, ist ein „return" für nachfolgende Generationen.

Das zentrale Instrument zur Reduzierung der Umweltbelastung ist dabei die Kostenwahrheit.

  • Wir können nicht über den Strassenverkehr sprechen, ohne alternative Treibstoffe einzubeziehen. In der Schweiz fahren nur gerade 4'500 Hybrid-Fahrzeuge. In Brasilien, ich habe es bei meiner Reise gesehen, werden 80% der Neuwagen als Mixed-Fuel-Autos angeboten, die mit Bioethanol betrieben werden können. Sao Paulo hat nicht zuletzt deswegen kaum mehr Smog.
  • Wir können kein Gas-Kombi-Kraftwerk planen und die CO2-Folgen ausblenden.
  • Wir können nicht über ein Kernkraftwerk sprechen und die Endlagerfrage unseren Nachfahren überlassen oder die Haftung für den Schadensfall vernachlässigen.

Folgende Massnahmen zur Herstellung der Kostenwahrheit stehen für mich im Vordergrund:

  • Erstens soll das CO2-Gesetz im Parlament zum Abschluss kommen, wobei die Emissionen aus Gasanlagen voll kompensiert werden müssen.
  • Zweitens erweisen sich in der EU die Emissionszertifikate als ein zielgerichtetes Instrument. Zertifikate sind eine Ergänzung zur CO2-Abgabe; 100 Franken zur Reduktion von CO2 in Polen investieren ist oft wirkungsvoller, als dieselben 100 Franken in der Schweiz zu investieren. Mit dem Anschluss der Schweiz an den internationalen Zertifikatshandel könnten den schweizerischen Unternehmen zudem "gleich lange Spiesse" in der Konkurrenz mit EU-Unternehmen ermöglicht werden.
  • Drittens kann die Umweltbelastung durch neue, effiziente Technologien im Bereich Produktion und Verbrauch reduziert werden. Die im EVD angesiedelte Kommission für Technologie und Innovation (KTI) hat allein von 2001 bis 2006 rund 80 Projekte zur rationellen Energieverwendung in Gebäuden oder im Bereich Biomasse und Solarenergie gefördert. Wichtig ist mir, dass diese Erkenntnisse jetzt auch effektiv umgesetzt werden. Hier kann die KTI den PULL-Prozess von der Forschung zur Industrie unterstützen.

Darüber hinaus müssen wir mit Anreizen erneuerbare Energien fördern. Mit den laufenden Revisionen des Energie- und Mineralölsteuergesetzes sind diesbezüglich wichtige Schritte vorgesehen. Und das Alkoholmonopol müsste man in dieser Beziehung auch einmal unter die Lupe nehmen.

Zum vierten Faktor, der Wettbewerbsfähigkeit. Preis und Qualität der Energieversorgung beeinflussen den Wirtschaftsstandort Schweiz. Unsere Energiestrategie darf daher nicht losgelöst von der Wachstumspolitik betrachtet werden. Was wir im Energiebereich verhindern oder fördern, hat Auswirkungen auf unsere Unternehmen und auf deren Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten. Denn Ineffizienz trifft nicht nur die Energiebranche, sondern auch Wirtschaft und Haushalte.

Dem Bundesrat ist es daher wichtig, die Rahmenbedingungen für den Kraftwerks- und Leitungsbau für die inländische Energiewirtschaft zu optimieren. Damit die Privatwirtschaft investiert, sind die Baubedingungen neutral und mit vernünftigen Fristen auszugestalten.

Sowohl für herkömmliche Wasserkraftwerke als auch für die Gewinnung neuer erneuerbarer Energien müssen unnötige behördliche Hürden für den Kraftwerks- und Leitungsbau identifiziert und abgeschafft werden.

Wir müssen mit konsequenten Schritten Rahmenbedingungen zu einem funktionierenden Energiemarkt anstreben. Wir müssen dazu gute Investitions- und Importbedingungen schaffen und zur Kostenwahrheit finden, begleitet durch ein griffiges Effizienzprogramm. Tun wir nichts, dann bezahlen wir und die nächsten Generationen teuer für den ungezügelten Energiehunger.

Die Münchner Rück hat die weltweiten, ökonomischen Schäden extremer Wettereinflüsse allein im Jahr 2002 auf 55 Milliarden US-Dollar beziffert. Der britische Ökonom Nicholas Stern sagt: „Wenn wir den Klimawandel ignorieren, schaden wir dem Wirtschaftswachstum." Und umgekehrt schätzt die europäische Kommission den Umsatz von Umwelttechnologien auf dem Weltmarkt auf 550 Milliarden Euro. Hier können neue, qualitativ hoch stehende Arbeitsplätze entstehen. Hier können unsere innovativen Unternehmen mit ihrem grossen Know-how partizipieren. Diesen Zug dürfen wir nicht verpassen.

Meine Damen und Herren, wenn wir uns zusammentun und grenzüberschreitend aktiv werden, können wir noch verhindern, dass unsere Gletscher ganz schmelzen oder der Eiger weiter auseinander bricht. Ich bin überzeugt: Sie alle haben das „Mene, Mene, Tekel, Peres" (gezählt, gewogen, geteilt) - die Schrift an der Wand - erkannt. Wenn nicht, können wir uns den Film „An Inconvenient Truth" von Al Gore als modernes Menetekel vor Augen führen. Unser Verhalten wurde gezählt und gewogen.

Bevor uns die Natur aber die Lehre erteilt, haben wir die Chance, selber zu handeln, und zwar entschlossen und gemeinsam. Allerdings haben wir ein Zeitproblem. Der Bundesrat hat die Kursrichtung bestimmt. Er ist nicht gewillt, weitere Jahre mit einer unnützen, ideologisch geprägten Diskussion über die beste Energiequelle zu verlieren. Wir setzen auf die Förderung der Energieeffizienz, auf den Ausbau der erneuerbaren Energien, auf den Bau neuer Kraftwerke - als Übergangslösung auch auf Gaskraftwerke - und auf eine Energieaussenwirtschaftsstrategie.

Wir müssen handeln.

  • Wir müssen bei der Kernenergie die Haftung an zu erwartende Unfallkosten anpassen und die Bewilligungsverfahren straffen.
  • Wir müssen bei Gaskraftwerken die CO2-Emissionen im Rahmen eines Emissionshandels mit der EU vollständig kompensieren.
  • Wir müssen erneuerbare Energien fördern und den internationalen Handel für Biotreibstoffe liberalisieren.
  • Wir müssen Preisverzerrungen beseitigen, um die Energieeffizienz zu erhöhen. Denn die günstigste Energie ist die, welche wir nicht verbrauchen.

Meine Damen und Herren, denken wir immer daran: Der Mensch hat dreierlei Wege zum Handeln:

  • Erstens, durch nachdenken, das ist der edelste.
  • Zweitens, durch nachahmen, das ist der leichteste - aber auch der gefährlichste.
  • Drittens, durch Erfahrung, das ist der bitterste.

Sorgen wir dafür, dass wir diese bitteren Erfahrungen nicht machen müssen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Es gilt das gesprochene Wort !


Herausgeber

Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung
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